Weshalb gibt es eine sechsmonatige Frist, bevor die Schulpflicht beginnt?
Die Regelung, dass die Schulpflicht erst sechs Monate nach dem Zuzug aus dem Ausland beginnt, ist der Überlegung geschuldet, dass die
Kinder und Jugendlichen mit Fluchterfahrung sich zunächst in einer gänzlich neuen Umgebung zurechtfinden und sich auf das
Leben in Deutschland einlassen müssen. Dabei geht man davon aus, dass die Auferlegung einer gesetzlichen Pflicht zum Besuch
einer Schule für den einen oder die andere eine zusätzliche Problematik mit sich bringt, weil die Schulpflicht dann auch
entsprechend eingefordert und ggfs. sanktioniert werden müsste. Dies kann im einen oder anderen Fall tatsächlich eine für
das Kind, den Jugendlichen oder dessen Eltern zusätzliche Belastung bedeuten. Genauso gut kann es aber zu einer Belastung werden, wenn
Kinder und Jugendliche zu lange keine geregelte Tagesstruktur haben, keine sozialen Beziehungen zu anderen Kindern und Jugendlichen
aufbauen können
und auch keine qualifizierte Möglichkeit bekommen, die deutsche Sprachkompetenz zu erwerben.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die individuelle Situation zu betrachten und für alle, die die Schule bereits
innerhalb der sechsmonatigen Frist besuchen wollen, möglichst rasch schulische Bildungsangebote zur Verfügung zu stellen.
Wie verhält es sich mit dem Recht auf Schulbesuch?
Unabhängig von der Schulpflicht besitzen Kinder und Jugendliche ein Recht auf Schulbesuch. Dies regelt unsere Landesverfassung in
Artikel 11 (1):
„Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung
entsprechende Erziehung und Ausbildung“.
Damit dieses Recht auf Schulbesuch auch bereits in den ersten sechs Monaten des Aufenthalts wahrgenommen werden kann, sind die
Meldebehörden dazu verpflichtet, die persönlichen Daten der Kinder und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter den Schulen zu
übermitteln. Eltern wiederum müssen über dieses Recht auf Schulbesuch ihres Kindes informiert werden, um entscheiden zu
können, ob sie das Recht auf Schulbesuch bereits im Rahmen der sechsmonatigen Frist in Anspruch nehmen wollen.
Wenn allerdings ein Kind bzw. ein Jugendlicher zur Schule angemeldet wird, dann muss die Schule tatsächlich auch mit allen
Rechten und Pflichten besucht werden.
Welches individuelle Angebot gibt es für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund und keinen/geringen Deutschkenntnissen?
Da nicht alle Kinder und Jugendlichen über die für den regulären Unterricht notwendigen Deutschkenntnisse verfügen, ist
in der Verwaltungsvorschrift des
Kultusministeriums über die "Grundsätze zum Unterricht für Kinder und Jugendliche mit Sprachförderbedarf an allgemein
bildenden und beruflichen Schulen" vom 01.08.2008, Fassung vom 31.05.2017, geregelt, dass die Schulen ein solches auf den Bedarf
angepasstes Angebot bieten müssen. Dabei liegt die Koordination der Sprachförderung im Aufgabenbereich der Schulleitung.
Kinder und Jugendliche mit nichtdeutscher Herkunftssprache besuchen soweit wie möglich die ihrem Alter und ihrer Leistung
entsprechende Klasse der in Betracht kommenden Schulart.
Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, sind in allen Schularten, die in der Zuständigkeit des Staatlichen Schulamts Backnang (GS, WRS, RS, GMS) liegen, sogenannte "Vorbereitungsklassen (VKL)" eingerichtet. Ältere Jugendliche mit keinen oder geringen Deutschkenntnissen, die die allgemeine Schulpflicht erfüllt haben, aber berufsschulpflichtig sind, können in sogenannten „VABO-Klassen“ (Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen) gefördert werden. VABO-Klassen gibt es in den beruflichen Schulen im Rems-Murr-Kreis und können in der Regel ab einem Alter von 16 Jahren besucht werden.
Welche Kinder und Jugendliche können in einer VKL beschult werden?
Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund und keinen oder geringen Deutschkenntnissen, welche in Deutschland
geboren, aus europäischen Staaten gekommen sind oder in Baden-Württemberg Schutz vor Gewalt und Verfolgung suchen, werden in
unseren Schulen im Schulamtsbezirk Backnang beim Erwerb der Zweitsprache gezielt unterstützt und gefördert. Sprache ist dabei das
wesentliche Kommunikationsmittel und die Voraussetzung zur Teilhabe in Gesellschaft und Schule. Kenntnisse der deutschen Sprache sind die
Grundlage für den schulischen Erfolg und damit auch dafür, sich nachhaltig für das Leben in Gesellschaft und Beruf zu
qualifizieren. Diese Sprachkenntnisse zu vermitteln ist unter anderem ein zentrales Aufgabenfeld für die Schulen und somit auch
für die Vorbereitungsklassen.
Welches Ziel verfolgt der Unterricht in einer Vorbereitungsklasse?
„Der Unterricht in einer Vorbereitungsklasse dient vorwiegend dem Erlernen der deutschen Sprache, des Fachwortschatzes sowie
schulischer Techniken und Arbeitsweisen. Er bereitet auf den Unterricht und die Integration in die Regelklasse vor und ist mit
diesem eng verzahnt. Es sollen in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland auch Kompetenzen in Landeskunde und
Gemeinschaftskunde erworben werden, sowie lebensweltbezogene Kompetenzen und Handlungskompetenzen zur
Alltagsbewältigung.“
(vgl. Verwaltungsvorschrift des
Kultusministeriums über die "Grundsätze zum Unterricht für Kinder und Jugendliche mit Sprachförderbedarf an
allgemeinbildenden und beruflichen Schulen", Kapitel 4.2.1 Einrichtung einer Vorbereitungsklasse vom 01.08.2008, Fassung vom
31.05.2017).
Wie lange können die Kinder und Jugendlichen eine Vorbereitungsklasse besuchen?
In der Regel ist ein einjähriger Besuch der Vorbereitungsklassen vorgesehen. Nach spätestens
zwei Jahren sollte die Aufnahme in eine Regelklasse erfolgen. Sind allerdings die Voraussetzungen (Leistungsstand,
Leistungsvermögen und Motivation) einer Schülerin/ eines Schülers der VKL erfüllt, kann diese/dieser auch
unterjährig in eine Regelklasse integriert werden. Sind im Einzelfall die Voraussetzungen (Leistungsstand, Leistungsvermögen und
Motivation) nach einem Besuch der VKL von zwei Jahren noch nicht gegeben, entscheiden die unterrichtenden Lehrkräfte mit Zustimmung
der Schulleitung, ob das Kind/ der Jugendliche weiterhin in der VKL beschult wird.
An welchen Schularten sind VKL eingerichtet?
Im Schulamtsbezirk Backnang sind in folgenden Schularten Vorbereitungsklassen eingerichtet bzw. können eingerichtet werden:
- Grundschule
- Werkrealschule
- Realschule
- Werkrealschule
Mit diesem differenzierten schulischen Bildungsangebot soll eine möglichst große Orientierung an dem jeweils individuellen Leistungs- und Lernstand der Schülerinnen und Schüler möglich sein.
Schulpflichtige Migrantinnen und Migranten bis zu einem Alter in der Regel von 16 Jahren erhalten in einer VKL an einer allgemein bildenden Schule ein Bildungsangebot. „Gemäß § 77 SchG sind Jugendliche, die ihre allgemeine Schulpflicht gemäß § 75 SchG erfüllt haben und keine weiterführende allgemeinbildende Schule besuchen, berufsschulpflichtig.“ (vgl. Verwaltungsvorschrift des Kultusministeriums über die "Grundsätze zum Unterricht für Kinder und Jugendliche mit Sprachförderbedarf an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen", Kapitel 3.2 Berufliche Schulen vom 01.08.2008, Fassung vom 31.05.2017). Es wird deutlich, dass Jugendliche kurz vor ihrem 16. Lebensjahr ein Bildungsangebot sowohl in einer VKL einer allgemein bildenden Schule als auch in einer sogenannten „VABO-Klasse“ an einer beruflichen Schule wahrnehmen können. Letztlich ist es der Einzelfall, welcher über das Bildungsangebot in einer VKL oder in einer VABO-Klasse entscheidet. Es sollte jedoch bedacht werden, dass es für die Jugendliche/ den Jugendlichen von Vorteil ist, wenn er mit Schulerfahrungen und Deutschkenntnissen in das VABO startet. Denn das daran anschließende duale Ausbildungsvorbereitungsjahr (AV dual) kann nur begonnen werden, wenn das VABO mit einem nachweislichen Sprachniveau von A2 abgeschlossen wurde.
Für die Anmeldung an eine Schule mit VKL und die Übergabe an eine
VABO-Klasse verweist das Staatliche Schulamt Backnang auf den
Anmelde-
und Aufnahmebogen für die Vorbereitungsklassen.pdf das
Übergabedokument
für die VABO-Klasse.pdf.
In welchen Formaten erhalten Kinder und Jugendliche mit keinen oder geringen Deutschkenntnissen Bildungsangebote? Welche Modelle sind umsetzbar?
Kinder und Jugendliche in einer VKL werden sprachlich und methodisch so gefördert, dass sie schnellst möglich erfolgreich am
Unterricht der Regelklassen teilnehmen können. Schülerinnen und Schüler mit keinen oder ganz wenig Sprachkenntnissen
benötigen zunächst täglich einen fest installierten Deutschunterricht (DaZ). Zur Integration in einer Regelklasse sind
unterschiedliche Modelle möglich. Die Entscheidung bezüglich der Form der Sprachförderung liegt in der Verantwortung der
Schulleitung und ist ein fester Bestandteil des Schulprofils.
- Modell 1: Unterricht in eigenständiger/ separat eingerichteter Klasse (VKL-S)
Die Schülerinnen und Schüler mit keinen oder geringen Deutschkenntnissen werden in einer eigenständigen Klasse unterrichtet und gezielt gefördert. Der Übergang in die Regelklassen erfolgt sukzessive. Um eine Überforderung zu vermeiden, wird empfohlen, mit einzelnen Fächern zu beginnen. Der Zeitraum des Übergangs wird individuell vollzogen.
Die Einrichtung einer eigenständigen, separat eingerichteten Klasse ist ab 10 Schülerinnen und Schülern möglich. Der Organisationserlass sieht eine maximale Anzahl von 24 Schülerinnen und Schülern vor.
- Modell 2: Unterricht von Anfang an (integrativ) in Regelklasse (VKL-I)
Abhängig von den jeweiligen schulischen Gegebenheiten (prozentualer Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, Sprachstand, Einzugsgebiet und Größe der Schule, Schulform etc.) und den zur Verfügung stehenden Ressourcen (Anzahl der Lehrkräfte, der Stunden für Sprachförderung, der Klassenräume etc.) kann Sprachförderung integrativ stattfinden. Bei der integrativen Sprachförderung besuchen Kinder und Jugendliche mit lückenhaften Deutschkenntnissen eine Regelklasse, können jedoch stundenweise individuell bzw. in Kleingruppen gefördert werden. Dies ist sowohl innerhalb des Regelunterrichts durch Team-Teaching, mittels Teilungsstunden oder durch zusätzlichen Förderunterricht möglich.
Die Abbildung der schulorganisatorischen Modelle in Baden-Württemberg (in Anlehnung an Deckert-Ernst (2017): Deutsch als Zweitsprache in Vorbereitungsklassen. Eine Bestandsaufnahme in Baden-Württemberg. Schneider Hohengehren. Baltmannweiler) stellt die Gestaltung der Vorbereitungsklassen wie folgt dar:
- Modell 3a: Unterricht in einer VKL FIT-Klasse
Im Zuge des Wege_In[1] Projekts wurde im Schulamtsbezirk Backnang eine VKL FIT-Klasse eingerichtet. „VKL FIT“ bedeutet „Förderung durch intensives Training“ und richtet sich speziell an Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I mit speziellen Bedürfnissen, d.h. ohne Alphabetisierung bzw. mangelnden schulischen Vorerfahrungen. Neben dem regulären VKL-Unterricht erhalten die Schülerinnen und Schüler in der eigenständigen, separat eingerichteten Klasse (s. Modell 1) weitere Förderstunden in den Fächern Deutsch und Mathematik.
[1] Wege_In ist ein Projekt des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport (KM) zur „Weiterentwicklung von
Sprachfördermaßnahmen zur gelingenden schulischen Integration von neuzugewanderten Kindern und Jugendlichen“. Das Projekt
wurde im Schuljahr 2018/2019 initiiert, um Sprachförderangebote an allgemein bildenden Schulen im Sekundarbereich I
weiterzuentwickeln.
- Modell 3b: Unterricht in einer VKL LEIF-Klasse
Ebenfalls können im Zuges des Projekts Wege_In (s.o.) sogenannte VKL LEIF-Klassen eingerichtet werden. „VKL LEIF“ bedeutet „Förderung leistungsmotivierter und leistungsstarker Schülerinnen und Schüler“. In einer VKL LEIF-Klasse werden demnach besonders leistungsstarke und leistungsmotivierte Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I unterrichtet. Neben dem regulären VKL-Unterricht erhalten sie in der eigenständigen, separat eingerichteten Klasse (s. Modell 1) weitere Förderstunden in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch.